Vorab

Anmerkungen zu dem folgenden Bericht aus der Sicht der Dorstener Tafel:
Noch müssen wir keinen Aufnahmestopp verhängen; er droht aber: Nach erst zwei Ausgabetagen in diesem Jahr, bei den die Kundenausweise verlängert bzw. neu beantragt werden konnten, haben wir etwa 220 Kundenkarten ausgegeben; bei ca. 350 ist leider Schluss.
Mehr als zwei Ausgabetage pro Woche für jeweils 3 Stunden sind allein aus personellen Gründen nicht möglich; unsere Kunden können auch nur alle zwei Wochen einkaufen. Auf diese Weise können wir möglichst viele zumindest ein bisschen unterstützen.

Tafeln: Hilfe, keine Vollversorgung

Im Bericht steht, dass immer mehr Menschen „auf die Lebensmittelspenden der Tafeln angewiesen“ sind. Das ist so nicht richtig: Immer mehr Menschen sind (leider!) auf (viel zu knapp bemessene!) staatliche Transferleistungen angewiesen; die rund 900 Tafeln in Deutschland können Bedürftigen ’nur‘ das Leben etwas leichter machen, sie unterstützen, aber keine Vollversorgung bieten.

Essen, wo es hingehört

In vielen Berichten über die Tafeln in Deutschland kommt ein Aspekt oft zu kurz: Die Tafeln sorgen dafür, dass Tausende Tonnen einwandfreier Lebensmittel, deren einziges Manko es ist, kurz vorm MHD zu stehen oder – bei Brot – ‚von gestern‘ zu sein, nicht in der Müllverbrennung landen, sondern auf dem Teller, also da, wo sie hingehören. Hier ist sicherlich der Gesetzgeber gefordert, die Art der Kennzeichnung zu ändern, aber auch die Konsumenten sollten besser mal den Joghurt in Augenschein nehmen und dran riechen statt nur aufs ein Datum zu schauen: egal, ob ein Joghurt rechts- oder linksdrehend ist: er besitzt keine eingebaute Uhr, die ihm sagt, dass er am Abend des MHD verdorben zu sein hat …


Quelle: www.RuhrNachrichten.de, 10.01.2017

________________

 Personal an der Grenze

Zu viel Andrang: Aufnahmestopp an Tafeln in NRW

(NRW) Immer mehr Menschen in NRW sind auf die Lebensmittelspenden der Tafeln angewiesen. Im vergangenen Jahr verzeichneten die Tafeln rund ein Drittel mehr Bedürftige – Menschen aus allen Bereichen. Alleinerziehende, Senioren, Aufstocker, Flüchtlinge. Vielerorts gibt es einen Aufnahmestopp, in Lünen kam es deswegen jüngst zu Tumulten. Doch auch in anderen Orten stoßen die Ehrenamtlichen an ihre Grenzen. Ein Überblick.

Immer mehr Menschen sind auf die Tafeln angewiesen. In NRW nahm die Zahl der Kunden um rund ein Drittel zu. Foto: Daniel Karmann/dpa

„Die Anzahl der Bedürftigen bei der Lebensmittelausgabe ist im Schnitt pro Tafel um rund ein Drittel gestiegen“, sagte der Vorsitzende des Landesverbandes, Wolfgang Weilerswist. „Die Zunahme haben wir nicht nur bei den Flüchtlingen, sondern in allen Bereichen. Trotz des Mindestlohns.“ Unter den Bedürftigen seien etwa Alleinerziehende, Senioren und Aufstocker, die nur ein sehr kleines Gehalt bekommen.  „Es sind vermehrt ältere Menschen, die nur wenig Rente bekommen und alleinerziehende Mütter hinzugekommen. Und im vergangenen Jahr – wie überall in der Region – auch Flüchtlinge“, hat auch Nina Diering beobachtet, Tafel-Koordinatorin der Caritas in Castrop-Rauxel.

In NRW gibt es rund 170 Tafeln. Sie bekommen Lebensmittel beispielsweise von großen Supermarktketten, die das Essen sonst wegwerfen würden, weil es gerade abgelaufen ist oder nicht schön aussieht. Kunden erhalten einen Ausweis, mit dem sie dann für sehr wenig Geld einkaufen können. An vielen Orten werden jedoch auf Grund von Aufnahmestopps keine neuen Ausweise mehr ausgegeben. Die Tafeln finanzieren sich ausschließlich über Spenden. Und leben von dem Einsatz der ehrenamlichen Mitarbeiter.

Aufnahmestopp in Lünen und in Werne

Doch die stoßen jetzt an ihre Grenzen. „Wir schaffen das nicht mehr“, sagte Ulrike Trümper von der Unnaer Tafel e.V in der vergangenen Woche und verhängte einen Aufnahmestopp für die Ausgabestelle am Lindeneck in Lünen. Statt 90 Personen standen am ersten Termin des Jahres rund 150 vor der Tür. Viele der Abgewiesenen waren erbost, dass sie nichts bekamen. Ulrike Trümper sprach von „tumultartigen Zuständen“.  „Ich kann verstehen, dass viele Leute lange Wege auf sich nehmen, und wir wollen helfen“, so Ulrike Trümper. „Aber wir können nicht noch mehr Menschen versorgen.“

Dass so viele Menschen bereits zum Anfang des Monats bei der Tafel anstehen, ist nach Beobachtung der Ehrenamtlichen in der Nachbarstadt Werne eher außergewöhnlich. „Zum Monatsanfang kommen allgemein nicht so viele“, sagt Dieter Schimmel, Koordinator der Tafel-Ausgabe in Werne. Für Werne gilt, wie für andere Ausgabestellen der Unnaer Tafel auch, bereits seit vergangenem Jahr ein Aufnahmestopp. „Gäbe es den nicht, würden wir überrannt werden“, ist er überzeugt. In Selm wurde der Aufnahmestopp erst jüngst wieder aufgehoben. Allerdings sind hier die Wartelisten extrem lang: „Zuerst müssen wir die Listen abarbeiten, weil diese momentan aufgrund des großen Andrangs immer noch überlaufen“, so Ulrike Trümper von der übergeordneten Tafel Unna.

Eine Lösung, um den Aufnahmestopp wieder zurückzunehmen, würde laut Trümper zusätzliche Ausgabestellen, Fahrzeuge und Lebensmittel erfordern. Allerdings: „Der Lebensmittelfond ist endlich, auch wenn viele Geschäfte wie Aldi, Lidl oder Kaufland uns unterstützen“, gibt sie sich realistisch.

Castrop-Rauxel nimmt noch Neukunden auf

Auch die Tafel in Castrop-Rauxel ist an ihren Grenzen angekommen, auch wenn hier noch neue Kunden aufgenommen werden.  „Pro Tag zählen wir rund 50 Familien als Kunden“, so Diering. Damit befindet sich das Team durchaus an der Obergrenze von dem, was überhaupt leistbar ist. „Sollten es täglich 60 Familien werden, müssten wir über einen Aufnahmestopp von Neukunden nachdenken.“

In der großen Nachbarstadt Dortmund versorgen rund 450 Helfer insgesamt rund 10.000 Bedürftige. Weitere Menschen, die sich engagieren wollen, werden dringend gesucht. Denn allein 1400 Menschen stehen auf der Warteliste für die Dortmunder Tafel. Und diese Liste wird nicht kürzer. Seit zehn Jahren nicht.

Die Tafel in Dorsten hatte bereits im Januar 2016 einen Aufnahmestopp für das erste Halbjahr verhängt, nachdem die Nachfrage immens gestiegen war. Die Tafel in Ahaus versorgt aktuell 414 Menschen aus Ahaus und Umgebung, darunter sind 202 Kinder unter 18 Jahren – eine seit einem Jahr annähernd konstante Zahl, die die 88 Ehrenamtlichen aber dennoch an ihre Grenzen bringt.  „Mehr können wir als Ehrenamtliche einfach nicht leisten“, stellte Marlies Feldmann vom SKF-Vorstand, dem Träger der Tafel in Ahaus bereits 2015 fest. Sowohl die Arbeits- als auch die Raumkapazitäten in Ahaus sind erschöpft.

In Köln gibt es noch nicht einmal mehr Wartelisten

In der Ruhrstadt Schwerte konnten Kunden der Tafel früher immer zwei Mal pro Woche Lebensmittel kaufen. Seit 2015 sei das anders, sagt Jan-Dirk Hedt, Leiter der Schwerter Tafel. „Seit Ende 2015 kommen auch viele Flüchtlinge zu uns. Da haben wir dann festgelegt, dass Kunden nur noch an einem der beiden Tage einkaufen können.“ So sei das bei vielen Tafeln auch üblich, sagt er.

Einen Aufnahmestopp gibt es in Schwerte bisher nicht, an jedem der beiden Ausgabetage kommen etwa 100 Menschen. Das sei zwar das Limit, die Zahlen pendeln sich aber ein, so Hedt, daher mache er sich keine Sorgen, dass es zu einem Stopp kommen könnte. Auch in Schwerte mache sich Altersarmut bemerkbar, sagt Hedt. Es kämen sehr viele Senioren, die auf die Tafel angewiesen seien.

Die Tafel in Köln ist stets auf der Suche nach neuen Partnern für Ausgabestellen. „2016 ist eine in Chorweiler dazugekommen, wir können Kalk bald wiedereröffnen. Longerich kommt Anfang 2017 dazu, und auch in Weiden müssen wir dringend was tun“, sagt Karin Fürhaupter, Vorsitzende der Kölner Tafel. Der Andrang in Köln ist so groß, dass manche Mitarbeiter in den Ausgabestellen schon gar keine Wartelisten mehr führen, berichtet Fürhaupter. Sie wollen den Menschen einfach keine falschen Hoffnungen machen.

Tafel-Netz ist umstritten

„Der Bedarf ist unverändert hoch“, sagt Michaela Hofmann, Geschäftsführerin im Arbeitsausschuss Armut der Freien Wohlfahrtspflege. Dort beobachtet man das anwachsende und sich verdichtende Tafel-Netz allerdings auch mit Sorge – denn eigentlich müsste der Staat ein Existenzminimum der Menschen sichern, betont Hofmann. „Und das wird nicht erfüllt. Wenn dem so wäre, bräuchte man in der Form und Masse die Tafeln nicht.“

Die Tafel-Idee ist umstritten, weil sie den Staat aus seiner Fürsorgepflicht entlässt. Monika Schlüter von der Dortmunder Tafel und bis zu ihrer Pensionierung ehemalige Baudezernentin in Werne, kann diese Kritik nachvollziehen. „Mein Standpunkt: Wenn Sozialleistungen nicht ausreichen, muss ich eben helfen. Weil das Leben teurer ist, als man es sich mit Hartz IV leisten kann.“

Mit Material von dpa

Schreibe einen Kommentar